Juli 2024: Vom Nordkap zum Smygehuk – eine Radtour durch ganz Skandinavien

Schon ein paar Jahre geisterte der Gedanke durch meinen Kopf, mit dem Rennrad möglichst flott vom Nordkap Richtung Heimat zu fahren. Dieses Jahr im Juli hat es endlich mit meinem zuverlässigen Kumpel Tilo geklappt, dieses Unternehmen in die Tat umzusetzen.

Wir wollten bis Alta fliegen, also mussten die Räder in Einwegkartons verpackt werden, eine völlig neue Erfahrung für uns. Beim Auspacken und Zusammenschrauben waren wir gespannt und letztendlich froh, dass alles den Transport gut überstanden hatte.

Nach einer kurzen Nacht sind wir früh 5 Uhr gestartet, um in einem Tag die 240 km bis zum Nordkap zu bewältigen. Zumindest um das Licht, so dachten wir, brauchen wir uns keine Sorgen zu machen – es ist 24 Stunden taghell! Weit gefehlt, denn spätestens am fast 7 km langen Nordkaptunnel ist Beleuchtung Pflicht. Es geht mit 9% bergab, satte 212 Meter unter den Meeresspiegel und dann mit maximal 10% Steigung wieder raus bei ganz normalem Verkehr auf zwei Spuren. Es ist also besser, rechtzeitig wahrgenommen zu werden. Am Nordkap erwartete uns herrlicher Sonnenschein, dafür aber auch unzählige Menschen. Trotzdem ist es schon ein erhebendes Gefühl, 300 Meter über dem Ozean am nördlichsten Punkt Europas in die endlose Ferne zu schauen. Am nächsten Morgen hatte das Wetter umgeschlagen, aber da es noch nicht regnete, sind wir von unserer Hütte aus erneut zum Kap geradelt. Im Nebel bei 9 Grad, Wind und Nieselregen standen wir fast allein am Nordkap.

In den folgenden Tagen haben wir uns mit der immer gleichen Taktik nach Süden bewegt: Am Vorabend wurde der nächste Tag geplant, Orte zur Verpflegung identifiziert, das nächste Quartier gebucht und natürlich das Wetter in diese Entscheidungen einbezogen. Der Regen war an der Hälfte der Tage ein regelmäßiger Begleiter, so dass wir bereits am fünften Tag eine Pause wegen Dauerregen einlegen mussten. Im finnischen  Wintersportort Muonio haben wir diese zur intensiven Radpflege und zur Erholung in der Sauna genutzt. In den ersten Tagen konnten wir das Navigationsgerät getrost aus lassen, es  gab meist nur eine geteerte Straße, Irrtum nicht möglich. Späterhin hat uns Komoot meist verlässlich geroutet, ein paar Aussetzer mussten wir jedoch korrigieren. Die eine oder andere Straße war für unsere Rennräder gänzlich ungeeignet, also Umfahren mit allerhand extra Kilometern. Zudem war es doch mehrmals notwendig, die Fernverkehrsstraße zu benutzen, sonst wären nicht vertretbare Umwege die Folge gewesen. In einigen Abschnitten waren in der Mitte und am Rand Leitplanken vorhanden, da blieben uns nur die 40 cm Teer rechts vom weißen Streifen. Bei Regen und LKW Verkehr war hier neben der rein physischen Komponente, nämlich den Lenker ordentlich fest zu halten, auch eine gute Psyche gefragt – Fahrfehler verboten! Das Hupen der LKW Fahrer war dabei wenig hilfreich. Ausgleichend dafür gab es schier unendlich lange Passagen auf ruhigen Nebenstraßen in beeindruckend schöner Landschaft: die Scherengebiete in Norwegen, herrliche Wälder in Finnland und Nordschweden, in welchen wir sogar einen Elch zu sehen bekamen, in Mittelschweden hat uns tagelang die Ostsee begleitet und zum Abschluss fruchtbare Ackerbaugebiete mit reifem Getreide. Auf unserem Weg durch die drei skandinavischen Länder haben wir den Polarkreis überschritten, das Nordende der Ostsee besucht, waren im kalten Vätternsee baden, um ganz zum Schluss am Smygehuk, dem südlichsten Punkt in Schweden, anzukommen. Gerade der letzte Tag hatte unsere Geduld nochmal gefordert. Wir mussten über fünf Stunden wegen starkem Regen in einem Supermarkt ausharren, um dafür 22 Uhr im Halbdunkeln das beleuchtete Smygehuk mit vielen Glücksgefühlen zu erleben. Ach ja, seit einigen Tagen hatten wir die Nacht zurückgewonnen, das Einschlafen war wieder einfacher geworden.

In kurzer Übersicht zusammengefasst waren wir 16 Tage mit dem Rad unterwegs, mussten davon wegen starkem Regen einen Tag pausieren. In den 3000 geradelten Kilometern verbergen sich 21 000 Höhenmeter und effektiv 114 Stunden im Sattel. Das wechselhafte und anfangs sehr kühle Wetter war  anspruchsvoll für Mensch und Material. Wir sind froh, alles mit nur einem Platten gut gemeistert zu haben und dankbar für die vielen gewonnenen Eindrücke in Norwegen, Finnland und Schweden.

Michael Richter

Juli 2024